Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Nils Melzer sieht Systemversagen bei Polizeigewalt in Deutschland

Die Überwachung der Polizei in Deutschland funktioniere nicht, sagt der UN-Experte Nils Melzer. Auch der Umgang der Bundesregierung mit dem Thema Polizeigewalt sei bedenklich.

Polizisten stehen Anfang März während mehrerer Demonstrationen auf dem Magdeburger Domplatz.

Polizisten stehen Anfang März während mehrerer Demonstrationen auf dem Magdeburger Domplatz.

27.11.2017, Schweiz, Genf: Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, spricht im UN-Hauptsitz bei einer Pressekonferenz. (Archivbild)

27.11.2017, Schweiz, Genf: Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, spricht im UN-Hauptsitz bei einer Pressekonferenz. Heute, 21.04.2022: Der UN-Experte wirft der Bundesregierung "Systemversagen" im Umgang mit Polizeigewalt in Deutschland vor.

Fabian Albrecht, dpa

Die Behörden in Deutschland versagen nach Einschätzung eines UN-Menschenrechtsexperten systematisch bei der Erfassung und Ahndung von Polizeigewalt. Dieses Fazit zieht der bisherige UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, aus seinem Austausch mit der Bundesregierung.
 

Melzer sei im Sommer 2021 wegen mehrerer Videos, die offenbar Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zeigten, aufgeschreckt worden. Er äußerte Sorge darüber und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme. "Ich fand die Reaktion der Regierung bedenklich", sagte er über die Antwort. Nach Auffassung der Bundesregierung sei es verhältnismäßig gewesen, dass Polizisten beispielsweise einen nicht aggressiven Demonstrierenden vom Fahrrad stießen und auf den Boden warfen. "Die Wahrnehmung der Behörden, was verhältnismäßig ist, ist verzerrt", sagte Melzer.

Er habe die Bundesregierung um eine Statistik gebeten, wie viele Polizistinnen wegen unverhältnismäßiger Gewalt belangt würden, sagte Melzer. Die Antwort sei gewesen: In zwei Jahren sei es ein einziger gewesen und in mehreren Bundesländern gebe es gar keine Statistiken. "Das ist kein Zeichen von Wohlverhalten, sondern von Systemversagen", sagte Melzer. "Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind."

Während Demonstrierende teils in Schnellverfahren abgeurteilt würden, würden Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder verschleppt, "bis niemand mehr hinschaut". Sein Fazit: "Die Überwachung der Polizei funktioniert in Deutschland nicht." Arroganz sei gefährlich, sagte Melzer: "Das zerstört das Vertrauen der Bürger in die Polizei."
 

Melzer hatte seine abschließende Einschätzung am 28. März nach Berlin geschickt. Es dauert 60 Tage, bis das UN-Büro für Menschenrechte sie veröffentlicht. Melzer ist wegen einer Berufung in das Direktorium des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Ende März von seinem UN-Amt zurückgetreten. Der Dialog mit Berlin sei damit abgeschlossen, sagte Melzer. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird im Juni gewählt und dürfte sich anderen Themen widmen.
 

ÜBER NILS MELZER

Prof. Nils Melzer ist Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte an der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights. Er ist ferner Professor für Internationales Recht an der University of Glasgow. Am 1. November 2016 übernahm er den Posten des UN-Sonderberichterstatters für Folter und sonstige grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.

Bio via: www.ohchr.org 


21. April 2022, 8:27 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, fa

 

UPDATE 26.04.2022 00:06: Leser haben uns angesprochen.
Der o.g.  Beitrag kann insofern falsch verstanden werden, dass Corona-Gegner Opfer von Polizei-Gewalt geworden seinen. 
In der Tat sei Gewalt und Exkalatiom vor allem von einem Teil der Corona-Gegnern ausgegangen und massive Polizei Gewalt habe vor allem auch Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum getroffen. 

Deshalb gibt es nun in den verlinkten Artikeln Informationen über Corona-Gegner Demonstrationen